Die Blechbearbeitungsbranche ist im Wandel: Kontinuierliche Weiterentwicklungen und die Einführung neuer Technologien zielen darauf ab, noch effizienter, präziser und nachhaltiger zu fertigen. Wir sprachen mit Alexander Kunz, Program Leader Next Level Sales & Services und ehemaliger Leiter des Customer Centers bei TRUMPF in Ditzingen, über aktuelle Herausforderungen und Trends in der Branche.
Fachkräftemangel, Automatisierung & Nachhaltigkeit
Auch 2024 kämpft die metallverarbeitende Industrie weiterhin mit Personalnot. „Der Mangel an qualifizierten Fachkräften trägt maßgeblich zu einer verstärkten Nachfrage nach Automatisierungslösungen bei“, erklärt Alexander Kunz. Gleichzeitig hat man erkannt, dass Potenziale nicht nur in der reinen Blechbearbeitung, sondern auch in der Logistik liegen. Bei der vernetzten Fertigung („Smart Factory“) betont Alexander die Notwendigkeit einer effizienten Vernetzung sowohl innerhalb von Fertigungsbetrieben als auch zwischen verschiedenen Unternehmen. Ziel sei eine verbesserte und intelligentere Auslastung der Maschinen. Die effiziente Vernetzung zwischen Maschinen und die Sicherstellung einer reibungslosen Materialbewegung seien entscheidend, auch über mehrere Shops hinweg.
Als weitere zentrale Herausforderung der Branche thematisiert der Experte alle „Green Themen“. Beim Thema Nachhaltigkeit spielt seiner Meinung nach zum einen die Reduzierung des Materialbedarfs durch verbesserte Blechgestaltung und intelligentes Design von Blechkonstruktionen eine große Rolle. Zum anderen gewinnt die Wahl nachhaltiger Ressourcen, wie etwa grüner Stahl, zunehmend an Bedeutung.
Der Wunsch nach einer digitalen Transformation
Die Bewältigung dieser Herausforderungen gibt Aufschluss über aufkommende Trends, die den Fokus verstärkt auf innovative Lösungen lenken. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Veränderung der Arbeitsweise durch Digitalisierung und Automatisierung.
Das Customer Center von TRUMPF hat beispielsweise den Weg zur papierlosen Fabrik bereits beschritten. Wo man früher noch Rüstpläne auf Papier vom Schichtleiter erhielt, diese dann zur Maschine trug und begann rumzutelefonieren, da läuft heutzutage alles digital ab. Was zunächst für viele ungewohnt war, ist mittlerweile nicht mehr wegzudenken. Dass die Digitalisierung in der Fertigung viele neue Möglichkeiten eröffnet, liegt auf der Hand. Der ehemalige Leiter des Customer Centers weist darauf hin, dass diese Umstellung ein konsequentes „Change-Management“ erfordert, aber auch zu erheblichen Effizienzgewinnen führen kann. Zudem erwähnt er, dass insbesondere in der Fertigung ein deutlicher Bedarf an Softwarelösungen erkennbar ist. Der Wunsch nach einer Smart Factory-Lösung besteht nicht nur bei Unternehmen, die bereits hochautomatisierte Materialflüsse implementieren, sondern auch bei jenen, die bisher auf manuelle Abläufe setzten. Die von TRUMPF entwickelte Software „Oseon“ unterstreicht diesen Trend deutlich. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass solche Veränderungen nicht über Nacht erfolgen und nicht jeder uneingeschränkt für die Digitalisierung zu begeistern ist – und das ist völlig legitim. Digitalisierung ist ein fortschreitender Prozess, der unterschiedliche Akzeptanzgrade aufweist.
Künstliche Intelligenz als Wegbereiter
Obwohl das Thema Künstliche Intelligenz in der Blechbearbeitung noch in den Anfängen steckt, wird es bereits erfolgreich beispielsweise im Bereich der Laserbearbeitung von Blechen eingesetzt.
Beim Absortieren von geschnittenen Blechbauteilen setzt TRUMPF auf den Sorting Guide, ein Gerät mit einer Kamera, welche die Blechtafel überwacht und sie mit dem NC-Programm abgleicht. Die Software erkennt die verschiedenen Teile und gibt dem Bediener über einen Bildschirm grafische Hinweise, was eine präzise Zuordnung, eine effizientere Nutzung des Materials und eine fehlerarme Produktion ermöglicht. Mühsame Puzzlearbeit war gestern.
Technologische Innovationen für eine umweltfreundliche Zukunft
Laut Alexander nimmt Nachhaltigkeit für TRUMPF einen immer höheren Stellenwert ein und verdeutlicht die zunehmende Bedeutung nachhaltiger Praktiken in der Blechbearbeitungsbranche. Er erklärt, dass der CO2-Fußabdruck eines Blechteils hauptsächlich durch die Materialherstellung entsteht und selbst eine gesteigerte Effizienz der Maschinen nur einen geringen Beitrag zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes leisten würde.
Beim Ditzinger Maschinenbauer wird Nachhaltigkeit durch Technologien wie „Nanojoints“ umgesetzt, eine fortschrittliche Laserschneidetechnologie, die eine optimale Verschachtelung für eine effiziente Materialnutzung möglich macht. Bauteile lassen sich so direkt nebeneinander auf der Blechtafel schachteln. Weiterhin wird die Reduzierung des Materialverbrauchs durch optimiertes Teiledesign und effiziente Umformungen von Blechkonstruktionen fokussiert. In diesem Zusammenhang spielt Optimate als digitaler Lösungsanbieter eine entscheidende Rolle, da hier ganz am Anfang der Produktentstehung angesetzt wird. Alexander Kunz sieht Optimate als Vorreiter auf diesem Gebiet.
Zudem werden durch Kooperationen mit anderen Unternehmen innovative Ansätze wie „Scrap to Value“ erprobt. Dieses Konzept unterstützt Kunden dabei, Blech nachhaltiger zu beschaffen und den Materialabfall zu reduzieren, indem das Material wieder in den Kreislauf zurückgeführt wird. Die Rückführung recycelter Materialien in den Produktionsprozess erfordert wiederum die vorherige Abfallsortierung.
Darüber hinaus unterstreicht Alexander die Bedeutung der Stahlherstellung und den Übergang zu grünem Stahl, der mittels Wasserstofföfen produziert wird. Die herkömmliche Stahlproduktion führt aufgrund der Verwendung von Kohle als Hauptenergiequelle zu erheblichen CO2-Emissionen. Laut des Experten kann der steigende CO2-Preis grünen Stahl in Zukunft wirtschaftlich attraktiver machen.
Zukunftsprognose des Experten
Alexanders Ausblick für die kommenden Jahre deutet darauf hin, dass der Fachkräftemangel weiterhin fortbesteht, was voraussichtlich eine verstärkte Automatisierungswelle nach sich ziehen wird. Ein zusätzlicher Trend wird der Zusammenschluss von Lohnfertigern sein, um Maschinenparks optimal zu nutzen. Das Thema Nachhaltigkeit wird weiter an Bedeutung gewinnen, auch wenn Unternehmen in der Blechbearbeitung noch einen langen Weg zur „Green Factory“ vor sich haben. Alexander unterstreicht zudem die Relevanz von „Reshoring“, bei dem Unternehmen Lieferketten wieder näher an ihre Heimatstandorte verlagern und regionale Lieferanten verstärkt integrieren werden.
Fazit
Das Expertengespräch mit Alexander Kunz verdeutlicht, dass die Blechbearbeitungsindustrie vor tiefgreifenden Veränderungen steht. Die Branche erlebt einen umfassenden Wandel, geprägt von Automatisierung, Digitalisierung und einem verstärkten Fokus auf Nachhaltigkeit. Der Fachkräftemangel treibt die Suche nach innovativen Lösungen voran, während Digitalisierung und Künstliche Intelligenz die Arbeitsweise revolutionieren.
Auch wenn Unternehmen in der Blechbearbeitung bereits begonnen haben, ihren ökologischen Fußabdruck mithilfe umweltfreundlicher Maßnahmen zu reduzieren, sieht der Experte zukünftig eine noch ausgeprägtere Nachhaltigkeitsorientierung. Der Blick in die Zukunft zeigt außerdem, dass die Branche neben Automatisierungslösungen und Emissionsreduktion vermehrt auf den Zusammenschluss von Lohnfertigern sowie auf die Stärkung regionaler Lieferketten setzen wird, um noch effizienter und nachhaltiger agieren zu können.
Abschließend möchten wir Alexander herzlich danken für seine wertvollen Einblicke in die dynamische Entwicklung der Blechbearbeitungsbranche und seine umfangreiche Expertise.
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